Was ist tiefenpsychologisch-fundierte Psychotherapie

Tiefenpsychologisch-fundierte Psychotherapie ist mit über 50 % das am häufigsten angewandte psychotherapeutische Verfahren in Deutschland. Sie gehört neben der Psychoanalyse und der Verhaltenstherapie zu den sogenannten Richtlinienverfahren. die in empirischen Studien für eine Reihe von Krankheitsbildern ihre Wirksamkeit nachgewiesen haben und damit die Voraussetzungen für die Übernahme der psychotherapeutischen Behandlungskosten durch die Krankenkasse erfüllen.

Die tiefenpsychologisch-fundierte Psychotherapie als angewandte Psychoanalyse basiert auf der Persönlichkeits- und Neurosenlehre der Psychoanalyse, wenngleich sie sich in ihrer Behandlungstechnik deutlich unterscheidet. Sie geht von folgenden Grundannahmen aus:

  • Die Entstehung und Aufrechterhaltung von neurotischen und psychosomatischen Störungen werden auf unbewusste, intrapsychische und/oder interpersonelle Konflikte zurückgeführt.

  • Diese Konflikte werden entweder auf reaktualisierte, biographisch erworbene, repetitive lnteraktionsmuster und/oder auf traumatische Erlebnisse zurückgeführt.

  • In der therapeutischen Beziehung reaktualisieren sich die unbewussten Konflikte. Sie zeigen sich in spezifischen lnteraktionsmustern des Patienten (Übertragung) sowie in den hiermit korrespondierenden Gefühlen des Therapeuten (Gegenübertragung). Die Analyse von Übertragung und Gegenübertragung bilden gemeinsam mit der Bearbeitung der Abwehr- und Bewältigungsmechanismen des Patienten (Widerstand) zentrale Ankerpunkte der Theorie und Therapie.

  • Heilung und Besserung der Beschwerden sind das Ergebnis der Bewusstwerdung der das Symptom hervorbringenden unbewussten Konflikte. Die Durcharbeitung dieser Konflikte in der therapeutischen Situation gibt dem Patienten die Möglichkeit, bessere Bewältigungsmechanismen zu entwickeln und korrigierende emotionale Beziehungserfahrungen zu machen.

Die tiefenpsychologisch-fundierte Psychotherapie findet Anwendung bei Patienten mit folgenden Indikationen:

  • akuten Symptombildungen, d.h. phobischen, generalisierten und paroxysmalen Ängsten, Depressionen, Zwängen usw.
  • funktionellen Störungen dissoziativen Symptomen und psychosomatischen Erkrankungen
  • Persönlichkeitsstörungen, primär körperlichen Krankheiten Süchten und lebensbedrohlichen Erkrankungen

Im Zentrum der tiefenpsychologisch-fundierten Psychotherapie steht die Aufdeckung und Bearbeitung von reaktualisierten konflikthaften Beziehungserfahrungen in aktuellen Beziehungen, die letztlich als unzureichende Bewältigungsmaßnahmen zum Ausbruch der neurotischen und/oder psychosomatischen Störung geführt haben. Neben der Bearbeitung dieser frühen Beziehungskonflikte steht insbesondere bei Patienten mit strukturellen Störungen das gemeinsame Bemühen um eine bessere Affektdifferenzierung und Affekt- bzw. Impulssteuerung, sowie eine realistischere Sicht des eigenen Selbst und des/der Anderen im Vordergrund. Im Gegensatz zur Psychoanalyse werden regressive Prozesse in der Behandlung nicht gefördert, womit die Entwicklung einer Übertragungsneurose weitgehend unterbunden wird, da sie wegen des begrenzten Stundenumfanges nicht im Vordergrund der Bearbeitung steht. Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse sind zwar unverzichtbare diagnostische Instrumente, werden jedoch nur dann Inhalt einer Deutung, wenn sie den Fortgang des psychotherapeutischen Prozesses behindern sollten. Eine abstinente Haltung des Psychotherapeuten ist notwendig, um Projektionen des Patienten oder regressive Prozesse besser handhaben zu können. Kennzeichnend für einen tiefenpsychologisch-fundiert arbeitenden Psychotherapeuten ist eine Regression begrenzende Haltung, bei der neben der Deutung der unbewussten Hintergründe des Erlebens und Verhaltens Konfrontation, Klarifikation, aber auch Entlastung, Ermutigung, Grenzsetzungen etc. im Sinne einer aktiven Technik eingesetzt werden.

Gerade diese Aktivität bedarf einer in einer eigenen intensiven Selbsterfahrung gestärkten, guten selbstreflexiven Haltung des Psychotherapeuten, damit dieser nicht nur eine akzeptierende und konstruktive therapeutische Situation, auch mit schwierigen und agierenden Patienten, gewährleisten kann, sondern sich zugleich der drohenden Gefahr der unbewussten Verführung zu einem manipulative n Umgang mit dem Patienten bewusst ist.

Zum Setting der tiefenpsychologisch-fundierten Psychotherapie gehören regelmäßige und feste Termine, in der Regel bei einer Therapiestunde pro Woche. Die Therapie findet im Sitzen statt, Patient und Therapeut sitzen einander gegenüber.

Nach der Indikationsstellung stellt der Patient einen Antrag auf Genehmigung der Psychotherapie bei seiner Krankenversicherung, dem der Therapeut einen anonymisierten ausführlichen Bericht über Biographie und Psychodynamik der Erkrankung, sowie einen Behandlungsplan, beifügt. Nach Durchlaufen des Gutachterverfahrens wird im positiven Fall zu nächst die Kostenübernahme für 60 Stunden, nach einem möglichen Verlängerungsantrag nochmals für 40 Stunden zugesagt. In der Regel beträgt die Gesamtbehandlungsdauer zwei Jahre.